Kedves

  alias Dunja.   

Nachdem sie unter dem Namen Kedves am 8. März 1966 in Südungarn das Licht der Welt erblickte, sollten noch ganze zwölf Jahre ins Land gehen, bevor wir uns das erste Mal begegneten. Dazwischen lagen die Erfahrungen ihres halben Pferdelebens mit allen positiven und negativen Erlebnissen, welche einem Pferd in zwölf Jahren begegnen.

Jedenfalls trafen wir uns im Februar 1978 auf einem Bauernhof in Judenau, wo das bewegte auf und ab ihres bisherigen Lebens ihr eine erträgliche Zwischenstation bereitet hatte.

Als ich sie damals sah, eine Rappstute in den besten Jahren, von exzellentem Exterrieur und mit einem angenehmen, ja man kann sagen noblen Wesen, war es Liebe auf den ersten Blick.

Ein Eindruck, den ich Zeit ihres Lebens niemals revidieren mußte.

Aus dem Pedigree war zu entnehmen, daß Kedves, wie ihr richtiger Name lautete; dem edlen Geschlecht der Noniusrasse entstammte. Diese Pferde wurden in der österreichisch ungarischen Monarchie als Karossenpferde und der zartere Typ als Reitpferde, vorwiegend für das Militär und da in erster Linie als Pferde für Meldereiter gezogen.

Daher kam wohl Ihre ausdauernde Schnelligkeit und die ausgeprägte Vorliebe für den Galopp. Ein Wesenszug, der in späterer Folge noch für Überaschungen sowohl in positiver als auch in negativer Weise, sorgen sollte.

Den Namen Kedves', welcher zu kompliziert war und im übrigen ihrem Wesen voll gerecht wurde, änderte ich in ' Dunja ', was soviel wie ' die Schwarze ' bedeutet, .

Mit Dunja erlebte ich erstmals die endlose Freiheit zweier so ungleicher Lebewesen wie Mensch und Pferd. Egal ob wir im Schritt durch den sonnendurchfluteten Morgennebel trampten, oder im Galopp über die taunassen Wiesen flogen, die unendliche Freiheit des Augenblickes war allgegenwärtig.

Besonders die Ausritte und Wanderritte mit Hedi, die auf unseren Shagya Wallach Oerek ritt, waren immer von neuen Erlebnissen geprägt. Trotzdem waren sie die aufregensten, schönsten und eindrucksvollsten in unserem gemeinsamen Reiterleben.

Dunja gab in all den Jahren unseres gemeinsamen Erlebens, ehrlich und willig ihr Bestes. Ob im Jagdspringen, in der Military oder im Distanzreiten, immer war sie für die besten Leistungen gut. Ja gerade dann, wenn man glaubte es würde nicht funktionieren oder es könnte zu Problemen kommen, wuchs sie über sich hinaus und schaffte das Unmögliche doch.

So gelang es uns gemeinsam sowohl in der Military als auch im Distanzreiten über 30 km sehr ordentliche Erfolge zu erringen. Ich erlebte mit ihr meine erste Siegerehrung und ich habe das ergreifende Gefühl des Siegens nie vergessen.

Im Alter von achtzehn Jahren, brachten wir Dunja mit dem Hengst Drobin zusammen. Dunja sollte zum zweiten mal im Leben ein Fohlen haben. Ihre Zuneigung zu Drobin war augenscheinlich. Die Stute die sonst bei anderen Pferden auf unserer freien Weide stets dominant, ja fast als herrisch zu bezeichnen war, verhielt sich in Drobins Nähe in einer kaum begreiflichen Unterordnung. Man hatte den Eindruck, als wollte sie alles vermeiden, um den Hengst zu verärgern oder bei ihm in Ungnade zu fallen. Ich kannte unsere Stute kaum wieder.

Der Sprung glückte auch sofort und Dunja wurde trächtig. Wir alle fieberten dem Tag entgegen, an dem das Fohlen fallen sollte.

Dann war es soweit. Am frühen Nachmittag, als keiner damit gerechnet hatte, kam ein gesundes Hengstfohlen zur Welt, das auf den Namen 'Akim' getauft wurde.

Es fiel uns nichts besseres ein und wir hatten ja noch keine Ahnung, welches Wesen der neue Stallbürger zeigen würde.

Die Geburt von Akim verlief eigentlich so ziemlich reibungslos, abgesehen davon, daß er in der ersten Stunde noch nicht stehen konnte und so längere Zeit die Zitzen nicht erreichte und daher keine Milch saugen konnte. Erst als man ihm hochhob und an das Euter brachte, war er in der Lage, die so wichtige Kolostralmilch aufzunehmen.

Eigentlich war alles in bester Ordnung, bis zu dem verhängnisvollen Tag, wo das Unglück seinen Lauf nahm.

Akim lag immer mitten in der Box und kümmerte sich nicht darum, wenn seine Mutter sich bewegte. Die Stute war auch sehr aufmerksam darauf bedacht, auf ihr Fohlen Rücksicht zu nehmen.

Wir wissen nicht, was in jener Nacht geschehen ist. Doch am Morgen des nächsten Tages, als ich Stute und Fohlen auf die Weide entlassen wollte, mußte ich feststellen, daß der rechte Vorderlauf von Akim gebrochen war.

Es war ein glatter Durchbruch, bei Pferden leider irreparabel. Wir mußten das verheißungsvolle Hengstfohlen einschläfern und sein junges Leben frühzeitig beenden.

Mittlerweile waren weitere zwölf Jahre vergangen, und Dunja zeichnete das stattliche Alter von 24 Jahren aus. Sicherlich war in den letzten Jahren im Gedanken und in Gesprächen öfter als sonst die Frage aufgetaucht, 'was wird einmal sein wenn....?'. Doch es gab keinen Grund, sich ernsthafter damit zu beschäftigen. Außer zum Impfen hatte der Tierarzt bei uns kaum Saison.

Doch im letzten Jahr ihres Lebens, kam der Gedanke immer öfter. Über den Hufen der Vorderbeine hatten sich Knochenschalen gebildet, welche zeitweise zu Lahmheiten führten.

Noch dachte keiner daran, daß der Abschied für immer bevorstand. Sollte sie doch ihren Lebensabend auf der Koppel verbringen, wenn das Reiten mit ihr nicht mehr möglich war.

Aber ich konnte mich des Eindruckes nicht erwehren, daß sie selbst den Lebenswillen, welcher sie stets ausgezeichnete, verloren hatte. Schicksalsschläge, wie der Verlust ihres Fohlens vor vier Jahren und der Tod eines alten Fuchswallachs, mit den sie ständig auf der Koppel beisammen war, hatten ihren Lebenswillen so schien es, gebrochen.

Da sie mehr und mehr vereinsamte und selbst von der Herde abseits blieb, obwohl sie stets darin intergriert war, mußte ich, nach eingehender Untersuchung durch den Tierarzt, mich mit dem Abschied für immer auseinandersetzen.

An einem strahlenden Sommertag, führte ich sie das letzte Mal über jene Wiesen, welche für zwölf Jahre ihre Heimat waren.

Auf der Koppel, welche wir zum Schluß erreichten, kamen die anderen Pferde nach und nach herbei.

Manche rieben die Köpfe an ihren Hals, andere blickten sie nur an und standen bewegungslos, einem stummen Abschied gleich, solange wir vorübergingen.

In diesem Moment kamen mir Zweifel, ob Tiere wirklich so gefühllose Wesen sind, wie es immer dargestellt wird.

Mit dem Echo des Schußes, endete ein bewegtes Pferdeleben.

Aus meinem Herzen wird sie niemand löschen können.